Pflanzen auf Rügen: Lebensraum Strand


Tartaren-Lattich am Lobber Ort auf dem Rügener Mönchgut.
Tartaren-Lattich am Lobber Ort auf dem Rügener Mönchgut.

Tjaaaa. Pflanzen am Strand. Hört sich einfach an, ist es aber nicht. Es gibt nämlich verschiedene Strandtypen und als Nichtfachfrau gebe ich jetzt das zum Besten, was ich darüber weiß. Mutig hoffe ich, dass meine Worte als Erklärung ausreichen und sich hierher verirrenden Fachleuten nicht die Haare zu Berge stehen werden (in diesem Fall bitte ich um eine E-Mail und die Möglichkeit der Berichtigung oder Ergänzung, ich würde mich freuen). Also. Ich fang mal an:

Spieß-Melde auf angehäuftem altem Seegras.
Spieß-Melde auf angehäuftem altem Seegras.

Es wird zwischen Flach- und Blockstränden unterschieden. Flachstrände liegen in der Regel zwischen Meer und Düne. Sie sind permanent der Kraft des Wassers und des Windes ausgesetzt, werden immer wieder überflutet und unterliegen ständiger Veränderung. Sie bestehen aus feinstem, weißem Sand mit keinen oder relativ wenigen Steinen und sind bei den bade- und sonnenhungrigen Zweibeinern sehr beliebt. Und weil das so ist, werden die bekanntesten und schönsten Sandstrände Rügens regelmäßig gesäubert und geebnet. Das heißt, dass alle von den Herbst- und Winterstürmen angespülten Pflanzen wie Blasentang und Seegras und anderes organisches Material wie Holz und tote Tiere entfernt werden und der von den Wellen nach hinten verlegte und etwas erhöhte Ufersaum quasi glattgeharkt wird. Pflanzen findet man an diesen Stränden höchstens noch am aktuellen Ufersaum, nämlich angepülte Wassergewächse - Blasentang und Seegras eben. Nur dort, wo das von den Stürmen abgelegte organische Material liegen bleiben darf, der Strand nicht in eine saubere, platte Ebene verwandelt wird und keiner ständigen Nutzung unterliegt, gedeiht eine vielgestaltige Strandpflanzenwelt. Denn die floralen Strandbewohner brauchen Nahrung, halbwegs festen Boden unter den Wurzeln und einen weitestgehend ungestörten Lebensraum. Sowohl Nahrung als auch festen Boden unter den Wurzeln bietet den Pflanzen von den Stürmen abgelagerte organische Material, das außerdem meist für einen leicht erhöhten Standort sorgt, der Schutz vor den Ostseewellen bietet. Und da Menschen nicht gern durch diese Massen laufen, halten sich die Störungen in Grenzen. Übrigens befinden sich auch die Samen von Spieß- und Strand-Melde, Europäischem Meersenf, Acker-Gänsedistel, Strand-Platterbse, Salzmiere oder Tartaren-Lattich in genau diesem Gemenge, das von den Wellen angespült wird. Die ab dem Frühling erscheinenden Pflanzen zeichnen deshalb oft den Spülsaum des Winters nach.

Blüten des Europäischen Meersenfs am Göhrener Südstrand.
Blüten des Europäischen Meersenfs am Göhrener Südstrand.

Ein Paradebeispiel für eine permanente Küstendynamik ist die Bucht zu Füßen des Lobber Ortes bei Lobbe: Bei jedem meiner Rügenbesuche sieht sie anders aus. Mal zeigt sich der Strand stark bewachsen, mal völlig kahl. Mal ist er außerordentlich breit, mal nur ein schmaler Streifen. In manchen Jahren bildet sich eine Lagune, aus der ab und zu ein vom Meer abgetrennter kleiner Strandsee wird. In anderen Jahren rauscht das Meer ungebremst bis fast an den Fuß der Steilküste. Flachstrände sind ein Lebensraum auf Zeit. Und ein Lebensraum der Extreme: Wellen, Wind, Nährstoffarmut, Hitze und Trockenheit und nicht zuletzt der Salzgehalt des Ostseewassers stellen große Herausforderungen für die dort lebenden Pflanzen dar. Jede Pflanze hat ganz eigene Strategien entwickelt, um diese Herausforderungen zu meistern. Die Salzmiere zum Beispiel verringert durch dickfleischige Blätter die Verdunstungsoberfläche und beugt so der Austrocknung vor. Das Gänsefingerkraut leistet sich als Windschutz Haare auf den Blättern, um nicht zu vertrocknen. Die Strand-Aster wiederum lagert das aufgenommene Salz in den unteren Stängelblättern ein, die sich mit zunehmendem Salzgehalt gelb färben und schließlich abfallen und schwuppdiwupp ist die Pflanze das lästige Salz los. Die Strand-Melde besitzt feinste Blasenhärchen auf den Blättern, in die das Salz gepumpt wird, bis sie voll sind und sich von der Pflanze lösen. Der Name "Melde" stammt übrigens von "Mehlde", denn die Blasenhärchen wirken auf den Blättern optisch wie Mehlstaub. Der einjährige Europäische Meersenf glänzt mit besonders großem Einfallsreichtum und verlässt sich bei der Verbreitung seiner Samen nicht allein auf die Ostseewellen. Aus jeder seiner Samenschoten fällt nur die Hälfte auf den Boden und wird irgendwann vom Wasser fortgetragen, um an anderer Stelle zu keimen. Die andere Hälfte verbleibt in der Schote an der Mutterpflanze und wird im darauffolgenden Jahr genau dort keimen, wo die Mutterpflanze stand, die noch dazu ihre verrottenden Überbleibsel als Nahrung für den Nachwuchs zur Verfügung stellt. Ganz schön schlau oder?!

Strand-Dreizack an einem Blockstrand auf dem Jasmund.
Strand-Dreizack an einem Blockstrand auf dem Jasmund.

Neben dem zuvor beschriebenen Flachstrandtypen existieren außerdem Flachstrände in geschützten Buchten, die nur hin und wieder überflutet werden und auf denen sich die Vegetation manchmal einige Jahre halten kann. Wenn das der Fall ist,  siedeln sich neben den oben bereits genannten Pflanzen auch Gewächse das Schilfrohr, Strand-Aster oder erste Sanddornbüsche an. Beim zweiten wichtigen Strandtypen auf Rügen handelt es sich um die Blockstrände. Jene Strandabschnitte, die von Steinen bis hin zu Findlingsgröße übersät sind und keine oder nur ganz geringe Sandstrandanteile aufweisen. Sie befinden sich meist unterhalb von Steilufern, aus denen im Laufe der Zeit die Steine an den Strand gepurzelt sind und immer noch purzeln. An Blockstränden, die häufig vom Meer überflutet werden, ist es für Pflanzen sehr schwer, Fuß zu fassen. Nur dort, wo das Wasser nicht oder selten hinkommt, entstehen  Vegetationsinseln oder die Pflanzen dringen nach und nach zum Beispiel vom Küstenwald oder von der bereits bewachsenen, inaktiven Steilküste aus auf den Blockstrand vor. Bachbunge, Milchkraut, Gänsefingerkraut, Sumpf-Ziest, Schmalblättriges und Zottiges Weidenröschen sowie Strand-Dreizack seien stellvertretend für alle genannt, die mir an Blockstränden bisher begegnet sind. Dort, wo Blockstrände am Fuß bewaldeter Steilufer liegen, findet man im Randbereich außerdem eine reichhaltige Strauch- und Baumflora vor. Im Frühling strahlen hier Sträucher wie Weiß- und Schlehdorn, Hundsrose, Eberesche, Wolliger Schneeball oder Hartriegel um die Wette. Allesamt Wesen, die auch im Herbst mit ihren vielgestaltigen, farbigen Früchten eine wahre Zierde der Landschaft und wichtige Nahrungsquelle für Vögel sind. An manchen Stellen umarmen sich Bäume und Steine - großartige Kunstwerke der Natur.

Der Baum umarmt den Stein - ein Kunstwerk der Natur am Jasmunder Blockstrand.
Der Baum umarmt den Stein - ein Kunstwerk der Natur am Jasmunder Blockstrand.

Außerdem gibt es so Misch-Masch-Strände, die irgendetwas zwischen Flach- und Blockstrand sind, also viel Geröll und gleichzeitig Sandanteile aufweisen. Dort findet sich jenseits des Spülsaums ein buntes Gemisch aus Pflanzen der Flach- und der Blockstrände ein. Derartige Strände befinden sich beispielsweise am Zickerschen Höft und am Göhrener Südstrand. Tatsächlich ist eine Zuordnung vieler Küstenabschnitte zu einem bestimmten Typen unmöglich (zumindest für mich). Erstaunlich ist, dass es trotz der stetig zunehmenden Touristenmenge, die Rügen besucht und vor der wirklich nichts mehr sicher ist, noch Strandabschnitte gibt, an denen wahre botanische Schätze ein Auskommen haben. Beispielhaft genannt sei der Echte Meerkohl, den ich vor zig Jahren mal an Wittower Außenküste bestaunen konnte. Oder der Riesen-Schachtelhalm, der an den Jasmunder Blockstränden vorkommt und bis zu 2 Meter hoch werden kann - ein beeindruckender Gruß aus Zeiten, in denen Schachtelhalme so groß wie ein Baum gewesen sind. Wer sich für die Pflanzenwelt an Rügens Stränden interessiert, dem seien die Strände am Lobber Ort, am Göhrener Nord- und Südstrand, zu Füßen der Zickerschen Berge sowie zwischen Thiessow und Klein Zicker empfohlen. Nicht zu vergessen die Jasmunder Außenküste mit ihren beeindruckenden Blockstränden, an denen sich die gesamte Erdgeschichte in Form von Gesteinen versammelt hat. Vom Frühsommer bis zum Herbst lassen sich an den genannten Orten viele botanische Entdeckungen machen. Überrascht wird man außerdem feststellen, welch große Insektenvielfalt durch die blühenden Strandpflanzen angelockt wird. Schmetterlinge wie Großer und Kleiner Fuchs, Kleine und Große Kohlweißlinge, Tagpfauenaugen, Distelfalter, Große Ochsenaugen oder Admirale laben sich an den Blüten oder nutzen Pflanzen wie den Europäischen Meersenf zur Eiablage. Für die Strand-Erdeule sind Strandpflanzen sogar unabdingbar für ihr Überleben als Art, denn einige Strandpflanzen stellen die Hauptnahrungsquelle ihrer Raupen dar. Auch Hummeln, Bienen, Schwebfliegen und Wespen sind eifrige Blütenbesucher. Zum Abschluss der kleinen Strandpflanzenexkursion gibt es nun jede Menge Fotos unterteilt in Flach- und Blockstrände. Ich wünsche viel Freude beim Umschauen und viele interessante Entdeckungen an Rügens Stränden. Bitte denken Sie bei Ihren Exkursionen daran, dass Strände oft Teil von Naturschutzgebieten sind und es sich deshalb von selbst verbietet, Pflanzen abzupflücken oder auszugraben. Vielen Dank.

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Pflanzen der Flachstrände

Pflanzen der Blockstrände

Strandtypen

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